The Kickoff:
Nachdem ich vier Jahre lang nichts mehr geschrieben habe (abgesehen von einem Buch), muss ich doch noch einmal die Schreibmaschine herausholen, um über eine kuriose Situation im gestrigen Spiel der Baltic Hurricanes gegen die Potsdam Royals zu berichten.
Was war passiert? Mit 9:34 im letzten Viertel (Danke, das die Statistiken schon am Sonntagmorgen verfügbar sind) auf der Uhr hat Kiel einen Touchdown erzielt und verkürzt damit auf 23-40. Man liegt 17 Punkte zurück.
Was tun? Einen (relativ) sicheren Kick machen, einen Punkt mitnehmen und die Führung auf 16 Punkte verkürzen oder eine (deutlich unsichere) Two-Point-Conversion (2PC) durchführen und nur noch 15 Punkte zurückliegen.
Der Vorteil des Kicks liegt auf der Hand: Sehr sicher (etwa 90% Trefferquote von Cobian Adjei-Freeman) und man hat (bei 16 Punkten Rückstand) ein Two-Score-Game: Zwei Touchdowns und zwei 2PC und man gleicht aus.
Dagegen ist die 2PC sehr viel unsicherer (Erfolgschance für Kiel bei etwa 40%) und würde, selbst bei Erfolg, den Rückstand auch nur auf Two-Scores reduzieren.
Es erscheint damit relativ klar, dass man eher zum Kick tendieren sollte und die Führung auf 16 Punkte verkürzen. So sah ich es und auch der Potsdamer OC neben mir konnte es nicht, fassen als man zur 2PC antrat. „What are you guys doing? That’s the ballgame!“ brüllte er auf die Tribüne (wo er nebenbei einem jungen Canes Fans erlaubte ein Play auszuwählen, welches er laufen ließ).
Die Reaktion des Potsdamer Coaches deckte sich mit meiner, und so ließ ich es auch nach dem Spiel jeden wissen, mit dem ich sprach. Aber nach einer Nacht des Überlegens, diskutieren und recherchieren muss ich sagen: Der Call war Richtig. Auch wenn ich absolut anderer Meinung bin. Dazu aber später mehr.
Analytics at Work
Ich bin 1975 geboren. In meinem Gehirn ist daher die in den 1970igern von Dick Vermeil entwickelte Chart quasi eingebrannt, wann man für 2 Punkte gehen sollte und wann nicht. Und dort sieht man: Liegt man 17 Punkte zurück, kickt man, fertig.
Doch 1975 ist halt auch schon lange her, wie man an meinen grauen (oder kaum vorhandenen) Haaren feststellen kann. Und so hat sich Football und insbesondere die Auswertung von Daten (im Footballsprech als „Analytics“ bezeichnet) stark weiterentwickelt. Insbesondere in den letzten zehn Jahren hat man hier meilenweite Sprünge gemacht. Und natürlich hat man sich auch angesehen, wann man eine 2PC durchführen soll und wann nicht.
Manche der Erkenntnisse sind dabei nicht immer ganz einfach zu verstehen. Insbesondere die Entscheidung, was man machen soll, wenn man zu Beginn des letzten Viertels mit 17 Punkten zurückliegt erscheint erst auf den dritten Blick sinnvoll. Dennoch sind die Daten relativ deutlich:
Der Grund liegt hier in der Annahme, dass man lieber früh wissen möchte, ob man drei Scores braucht. Denn eine 2PC ist (abgesehen von Potsdam, die beinahe 100% erreichen) meist nur bei 50% der Fälle erfolgreich. Wenn man also zweimal eine solche brauchen würde (um die 16 Punkte nach einem Kick auszugleichen) scheitert eine davon statistisch und man braucht wieder einen weiteren Score (bei dann weniger Zeit).
Eine kleines Aber muss man hier trotzdem geben: All diese (und viele weitere) Daten sind für die NFL erhoben, wo eine 40% Erfolgsrate bei 2PC als Minimum angenommen wurde.
Einen weiteren (auf den ersten Blick verwirrenden) Sonderfall möchte ich auch noch hervorheben. Wenn man mit 15 Punkten im Rückstand liegt, erscheint es logisch, nach einem Touchdown den PAT zu machen und auf acht Punkte (sprich: einen Touchdown plus 2PC) zu verkürzen. Aber auch hier sagt Analytics etwas anderes: Mache zunächst die 2PC!
Analytics vs the World
Die Zahlen sagen also relativ eindeutig: Der Call war richtig, eine 2PC auszuspielen. Dennoch war und bin ich der Meinung: Der Kick wäre „richtiger“ gewesen.
Der Grund hat eher etwas mit „Truthiness“ zu tun: Sprich, dem Gefühl das etwas Richtig ist, ohne wirklich die Fakten überprüft zu haben.
Und das tut mir natürlich in der Seele weh, denn immerhin betreibe ich die Seite mit den ausführlichsten Kicker/Punter-Statistiken im deutschsprachigen Raum. Und dennoch, glaube ich in diesem Fall wäre es besser gewesen, auf ein 2-Score-Game hinzuarbeiten.
Die Möglichkeit an der Seitenlinie der Defense/Special Teams zu sagen: Ein einziges Play und wir sind wieder da, wäre für mich mehr Wert gewesen. Die Chance jedem DB in die Augen zu sehen und ihm klar zu machen: Ein Pick, ein Turnover und wir sind dran und jedem DL zu sagen: Strip-Sack, Forced Fumble und der deutsche Meister kommt (hoffentlich) ins Wanken, wäre mir wichtiger gewesen.
Hier würde ich im Duell Analytics vs Psychologie (vermutlich zum einzigen Mal) ganz klar mit der Psychologie und der Motivation gehen.
Aber zum Glück muss ich solche Entscheidungen nicht treffen. Und kann sie vor allem durch ein paar Sätze klarstellen.
Der Rest des Blog-Post war von mir 2019 vorbereitet worden…Vielleicht gehen die Links sogar noch.
Punted to a Podcast:
Ich hatte es oben bereits erwähnt, der Blog steht mittlerweile deutlich hinten an, da ich ja einen eigenen Podcast mache. Natürlich sehr speziell: Über Kicker und Punter. Über ein Abo (z.B. bei Itunes oder Spotify) freue ich mich natürlich sehr!
Natürlich gibt es noch einen nicht-Football-Podcast-Tipp: Cui Bono: WFT happened to Ken Jebsen? beleuchtet in sechs Folgen die Wandlung von Jebsen vom plauderwütigen Spaß-Radiomacher zur Ikone der Querdenker und Verschwörungsmystiker. Sehr gut gemacht, auch wenn mir es teilweise etwas am Thema vorbei geht. Eine Serienadaption ist bereits in Arbeit.
The Science of Kicking (and Punting and everything else):
Vor meinem Kaffee kann ich nicht arbeiten, so geht es vielen Menschen jeden Morgen. Das man mit Koffein auch Bienen und Hummeln wacher bekommt und teilweise sogar schon der Gerucht ausreicht um die Leistung zu erhöhen, haben Wissenschaftler aus England herausgefunden.
Ratten sind clever und helfen anderen Ratten, das ist schon lange bekannt. Jetzt hat man herausgefunden, das Ratten insbesondere anderen Ratten helfen, die ihnen bekannt oder ähnlich sind. Dies scheint bei Menschen ja ganz ähnlich zu sein.
This Kick is presented by…
Eindeutig die beste Anschaffung in diesem Sommer! * (war 2019)
Long-Snap Good-Bye:
„On and On and On“
*Amazon-Partner-Link
**Artikel evtl. hinter Paywall